Der Befund meines Kindes sagt nichts über die Variante, bzw. Schwere des MCAD-Mangels aus. Was hat es denn nun?

Sofern aus den Befunden zweifelsfrei hervorgeht, dass tatsächlich ein MCAD-Mangel vorliegt, spielt diese Frage nach der Schwere bzw. der Variante vordergründig nur eine ganz untergeordnete Rolle. Wie oben bei der Frage nach der Bedeutung einer milden Variante beantwortet wurde, macht die Differenzierung zwischen mild und schwer hinsichtlich der Behandlung des Kindes durch den Stoffwechselarzt, die euch genannten maximalen Fütterungsintervalle, sowie alle weiteren Vorsichtsmaßnahmen, keinen wesentlichen Unterschied. Sehr viel mehr als einen erleichterten Stoßseufzer und eine kleine Reduzierung der besonders am Anfang oft noch großen Ängste und Sorgen um die Zukunft des Kindes, hat man als Eltern nicht davon. Dennoch kann genau dies schon eine gewaltige psychische Entlastung für die so kurz nach der Geburt mit einer so erschreckenden Nachricht konfrontierten Eltern bedeuten. Daher ist es ein verständlicher und begründeter Wunsch der Eltern, möglichst ausführlich zu erfahren, was es mit dem MCAD-Mangel des eigenen Kind nun genau auf sich hat.

Für Ärzte spielt die Schwere meist keine Rolle – für die Eltern aber durchaus!

Leider können viele Ärzte diesen Wunsch nicht nachvollziehen, sondern haben die Haltung “Da sich an der Behandlung ohnehin nichts ändern wird, spielt es für mich − und damit auch für die Eltern − überhaupt keine Rolle, ob es sich um eine schwere oder möglicherweise milde Form handelt.” So ließ sich auch unser eigener Stoffwechselarzt − trotz eines über alle Befunde hinweg eindeutig (mit ein wenig Erfahrung!) erkennbaren Carrierstatus meines Sohnes − nicht von seiner Haltung abbringen, dass wir der Einfachheit halber mal von einem schweren MCAD-Mangel ausgehen sollten.

Aber bloß weil der Stoffwechselarzt den Eltern gegenüber sagt “Ob es sich eher um eine schwere oder eine milde Form handelt, braucht Sie nicht zu interessieren!”, bedeutet das nicht, dass sich dieser Wunsch nach detaillierterer Information und das Bedürfnis, endlich etwas mehr Klarheit über den genauen Befund des Kindes zu bekommen, einfach so im Gehirn der Eltern ausknipsen lässt!

Sollte es dir genauso gehen, bleibt dir eigentlich nur, dich selbst intensiver mit dem Thema zu befassen, um dir diese und andere Fragen irgendwann selbst beantworten zu können. Das erfordert aber einigen Aufwand und persönlichen Einsatz, denn alleine schon die Frage nach der anzunehmenden Schwere/Milde des bei deinem Kind vorliegenden MCAD-Mangels lässt sich nicht so ohne weiteres beantworten! Hierzu müssen alle vorliegenden Befunde in ihrer Gesamtheit betrachtet werden. Angefangen mit dem Bericht des Neugeborenenscreenings, über die Ergebnisse des/der Kontrollscreenings, bis hin zu den in der molekulargenetischen Untersuchung gefundenen Mutationen, und ggf. auch noch die ermittelten Restaktivitäten des Enzyms.

Je mehr Befunde vorliegen, desto deutlicher wird das sich daraus ergebende Gesamtbild. Allerdings erfordert es auch noch etwas Erfahrung, um diese Zahlen in ihrer Gesamtheit zu deuten, und selbst dann wird die Frage nach der groben Eingruppierung des vorliegenden MCAD-Mangels in manchen Fällen letzten Endes unbeantwortet bleiben müssen.

Manchmal erhält man von seinem Stoffwechselarzt leider keine genauere Erläuterung der Befunde. Manche Ärzte können mangels eigener Erfahrung selbst nichts mit den darin enthaltenen Zahlenwerten anfangen und wieder andere (zum Glück nicht viele) Ärzte sind anscheinend der Meinung, dass es Zeitverschwendung für sie wäre, den Eltern die Befunde zu erläutern, da diese ohnehin nicht in der Lage seien, diese Erläuterungen zu verstehen. Falls du keine zufriedenstellenden Informationen zu den Befunden deines Kindes erhalten hast, kannst du mir die dir vorliegenden Zahlen gerne per Email an schicken. Dann können wir mal darüber reden, bzw. schreiben.

Kleiner Einschub meiner persönlichen Erfahrung:

Ich selbst habe die ersten vier Wochen lang meinem Stoffwechselarzt jedes Wort geglaubt, weil seine eigene Aussage, er habe seit 20 Jahren Erfahrungen mit dem MCAD-Mangel und kenne sich deshalb bestens aus, natürlich keinen Widerspruch zuließ und überdies auch tatsächlich eine Menge Vertrauen einflößte. Ich missachtete allerdings (sehr zu seinem Unwillen) seine mit Nachdruck ausgesprochene Empfehlung, mich nicht selbst mit dem Thema zu beschäftigen. Im zweiten Monat kamen mir aufgrund der vorliegenden Befunde aus NG-Screening, Kontrollscreening und molekulargenetischer Analyse und der darin genannten Zahlen erste Zweifel an der Korrektheit seiner Aussage, mein Kind habe einen schweren MCAD-Mangel, denn für mein Empfinden drückten die Zahlen und die Formulierungen doch sehr deutlich aus, dass es Anzeichen für einen reinen Carrierstatus oder allerhöchstens einen sehr milden MCAD-Mangel gäbe. Auf die entsprechende Nachfrage hin folgte allerdings nur die Erwiderung, dass ich aufhören solle, mich damit zu beschäftigen, denn das nütze meinem Kind überhaupt nichts! Er kenne sich aus, und es sei ja wohl irgendetwas nicht in Ordnung, folglich gehe er von einem schweren MCAD-Mangel aus. Ich wollte mich damit im Interesse meines Kindes aber nicht abspeisen lassen, und forschte die folgenden fünf Monate lang täglich viele Stunden lang in allen im Internet zu findenden medizinischen Berichten zum MCAD-Mangel nach, was die genannten Zahlen genau zu bedeuten hatten. Nach über 700 Stunden, die in die Recherchen und das Zusammentragen der Informationen auf dieser Seite eingeflossen sind, war ich zu 99% überzeugt, dass mein Kind gemäß der Darstellung der Befunde keinen MCAD-Mangel haben könne. Es stand allerdings nirgendwo so konkret drin und der Arzt war auch nicht bereit, sich meine Argumentation anzuhören, geschweige denn von seiner eigenen Darstellung abzugehen. Als wir beschlossen, zwecks Einholung einer zweiten Meinung an eine andere Uni-Klinik zu wechseln, forderte ich von seinem Sekretariat noch einmal einen vollständigen Satz an Kopien der vorliegenden Befunde an − außer natürlich der handschriftlichen Notizen, in denen er mit Sicherheit vermerkt hatte, dass man mit mir nicht vernünftig reden könne. In einem ihm bereits seit dem zweiten Lebensmonat meines Kindes vorliegenden Zusatzbefund zur molekulargenetischen Untersuchung stand als Abschlussergebnis drin, dass alle erfolgten Untersuchungen zeigten, dass ganz eindeutig nur eine heterozygote Genmutation vorliege und daher ein MCAD-Mangel ausgeschlossen werden könne. Von diesem Befund hatten wir die gesamte Zeit über nicht das Geringste erfahren. Eigentlich wäre das ganze Thema bereits nach zwei Monaten für uns erledigt gewesen.
Eine ähnliche Erfahrung haben in den vergangenen Jahren noch einige andere Familien aus dem früheren MCAD-Forum gemacht. Es waren zwar in der Tat nur ganz wenige, nämlich insgesamt 17 von rund 550 Familien (davon 7 alleine nur in den Jahren 2020-2023!), bei denen sich der absolut sichere MCAD-Mangel nach meiner persönlichen Einschätzung der Befundwerte und der danach erfolgten Einholung einer Zweitmeinung in einer anderen Stoffwechselklinik als völlige Fehldiagnose herausstellte. Darüber hinaus gab es aber auch eine ganze Reihe weitere Familien, die ich nach dem Lesen der mit zugeschickten Befunde ebenfalls zur Einholung einer Zweitmeinung in einer anderen Uni-Klinik ermutigen konnte, in deren Folge sich die ihnen anfangs mitgeteilte Diagnose eines schweren MCAD-Mangels dann immerhin zu einer eindeutig milden und bisher nie in Form einer Entgleisung in Erscheinung getretenen Variante abschwächte. Bei der überwiegenden Mehrheit sprachen die Befunde wirklich ganz deutlich für einen schweren MCAD-Mangel, da diese Form tatsächlich auch die am häufigsten anzutreffende Variante ist. Die insgesamt ca. 50 Fälle der im Nachhinein dann doch nur milden Varianten oder reinen Carrier, zeigen aber bereits deutlich genug, wie wichtig es ist, sich immer alle Befunde in Kopie aushändigen zu lassen und zu überprüfen, ob die den Eltern gegenüber gemachten Aussagen auch mit den vorliegenden Befundwerten in Einklang gebracht werden können.

Ansonsten gibt es in den Befunden natürlich auch einige typische Begriffe, die dir in Verbindung mit den unter der Frage “Auf welche Variante des MCAD-Mangels weisen die Screeningergebnisse hin?” zu findenden Erklärungen eine Vorstellung ermöglichen sollten.

Eindeutige Hinweise auf eine schwere Form liegen vor, wenn folgende Begriffe auftauchen:

  • “klassischer MCAD-Mangel”: eindeutig die schwere Version, denn als “klassisch” werden nur die bekannte Hochrisikovariante c.985a>g (K329E) homozygot und andere bereits durch Entgleisungsfälle in Erscheinung getretene Varianten bezeichnet.
  • “c.985a>g homozygot” oder “K329E homozygot”: Wenn diese Mutationen im Befund genannt wurden, besteht ebenfalls kein Zweifel daran, dass es sich um eine schwere Form handelt.
  • “gefunden wurde die häufigste Mutation in homozygoter Ausprägung”: dies ist ebenfalls eine Umschreibung von c.985a>g homozygot. Keine andere Mutationskombination wird so oft gefunden wie diese.

Deutliche Hinweise auf eine milde Form liegen dagegen vor, wenn die Mutation c.199t>c (Y67H)

  • homozygot oder
  • compound heterozygot mit c.985a>g (K329E)

gefunden wurde.

Alle anderen Mutationskombinationen sind im Vergleich dazu so selten, dass es keine ausreichende Datenbasis gibt, die eine auf den Erfahrungen betroffener Patienten aufbauende Klassifizierung in schwer oder mild ermöglicht. Eine MCAD-Mangel-Ausprägung kann allerdings schwerlich als mild im Sinne von “gutartig” bezeichnet werden, wenn eine Person mit dieser Mutationskombination schon mal eine Stoffwechselentgleisung erlitten hat. Anhaltspunkte zur Einstufung einiger der rund 70 bekannten Mutationen sind im Artikel “Infos zu den Mutationen” zu finden.

Am ehesten lassen sich zur Klassifizierung der individuellen Ausprägung eines MCAD-Mangels noch die reinen Acylcarnitinwerte (C-Werte, vor allem C8) und deren Quotienten aus den Screenings heranziehen, auch wenn diese selbst nur einen Verdacht begründeten und noch keine endgültige Diagnose darstellten. Trotzdem sind das die deutlichsten Werte, da sich die Neugeborenen zum Zeitpunkt dieser ersten Blutprobenentnahme normalerweise in einer stark katabolen Stoffwechsellage befanden. Wenn die in der Antwort zu “Auf welche Variante des MCAD-Mangels weisen die Screeningergebnisse hin?” behandelten Werte eines Kindes deutlich auf eine schwere Form hinweisen, sind die gefundenen Mutationen irrelevant, und eine eventuell durchgeführte Restaktivitätsanalyse des Enzyms wird diese Einschätzung mit hoher Wahrscheinlichkeit nur bestätigen, statt sie zu widerlegen. Lediglich in den Graubereichen, in denen die Acylcarnitinwerte eine klare Eingruppierung in Carrier<->milde Form<->schwere Form nicht direkt zulassen, können diese Untersuchungen ein kleines Stück mehr Klarheit verschaffen.

Hin und wieder kommt es allerdings auch vor, dass die Genanalyse nur eine Mutation hervorbringt, die Screeningwerte zuvor aber sehr deutlich auf einen MCAD-Mangel (egal ob mild oder schwer) hingewiesen haben. Dies ist nicht als Hinweis darauf zu verstehen, dass selbst Carrier, die nur von einem Elternteil einen MCAD-Gendefekt geerbt haben, einen MCAD-Mangel ausprägen können, sondern dass bei dem betreffenden Kind − und dem anderen Elternteil − eine mit der angewendeten Analysemethode noch nicht ermittelbare zweite Mutation vorliegt, die in Kombination mit der bereits gefundenen Mutation diese nachweisbare Einschränkung des MCAD-Enzyms ausgelöst hat. Zum Beispiel können mit der Methode zur Ermittlung von “Punktmutationen”, also einzelner ausgetauschter Basen im DNA-Strang, keine “Deletions”, also Löschungen größerer DNA-Teilstränge gefunden werden. Umgekehrt taugt die Methode zur Ermittlung von Deletions nicht zum Auffinden von Punktmutationen. Oftmals beschränken sich die Labore bei der Suche nach den auslösenden Mutationen jedoch auf die erste Methode, sodass eine vom zweiten Elternteil eventuell beigesteuerte andere Mutationsart schlicht und einfach nicht gefunden werden kann, obwohl sie aufgrund der Werte des Kindes zwingend existieren muss.

Haben die Screeningwerte bereits den Verdacht auf einen reinen Carrierstatus nahegelegt? Dann kann das Auffinden einer einzelnen heterozygoten Mutation als Beweis dafür angesehen werden. Bei dagegen deutlich erhöhten Acylcarnitinwerten hat das Auffinden von nur einer Mutation jedoch keine entsprechende Bedeutung, denn es muss dann zwingend eine zweite Mutation vom anderen Elternteil geben, die nur nicht gefunden werden konnte.Schwere oder Variante