Zunächst ein kurzes Wort an die hier vorbeischauenden Ärzte
Die in den folgenden Artikeln enthaltenen Informationen wurden von mir gezielt für vom MCAD-Mangel betroffene Familien zusammengestellt. Da es mir hauptsächlich auf die Verständlichkeit der Sachverhalte ankommt, habe ich zu Beginn meiner Recherchen in den Texten mit wenigen Ausnahmen auf die Angabe der dafür genutzten Quellen verzichtet. Trotzdem basieren alle hier zusammengetragenen Darstellungen auf entsprechenden wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum MCAD-Mangel (z.B >hier<) und auf von Ihnen als Stoffwechselexperten uns Eltern gegenüber gemachten und von uns anhand entsprechender Literatur auf Korrektheit, bzw. Sinnhaftigkeit überprüften Aussagen.
Obwohl sich in diesem speziellen und relativ jungen Forschungsbereich zwar noch nicht wirklich viel getan hat, gab es in den vergangen 25 Jahren doch immer wieder sich hinsichtlich der Schlussfolgerungen einander widersprechende Studien, sowie inzwischen völlig veraltete Erkenntnisse. Daher habe ich mich bei der Informationssammlung − soweit möglich − nur auf neuere medizinische Publikationen ab dem Jahr 2000 beschränkt und versucht, die in einzelnen Punkten nach wie vor bestehenden Uneinigkeiten aufzuzeigen.
Auch wenn Uni-Kliniken und Krankenhäuser nicht meine eigentliche Zielgruppe darstellen, werden die auf dieser und den folgenden Seiten zu findenden Informationen inzwischen doch von fast allen medizinischen (Stoffwechsel-)Einrichtungen aus dem deutschsprachigen In- und Ausland genutzt und teilweise auch an die eigenen MCAD-Patienten weitergeben. Ich kann die interessierten und einer solchen Initiative gegenüber aufgeschlossenen Ärzte nur darum bitten, die hier zusammengetragenen Informationen einfach in der bestehenden Form und auch ohne zu allen Punkten existierende detaillierte Quellenangaben zu akzeptieren. Ansonsten können Sie − falls Sie die damit verbundene Mühe und die bisher mehrere hundert Stunden Rechercheaufwand nicht scheuen − durch Nachverfolgung aller im Text genannten Veröffentlichungen, sowie den darin referenzierten Publikationen, sowie den wiederum darin referenzierten Arbeiten, usw… irgendwann alle hier gesammelten Aussagen in der dargestellten Form wiederfinden.
Bitte beachten Sie auch besonders den Artikel “Fragen an die Experten“. Ich danke Ihnen für Ihr Interesse, wünsche Ihnen für ihre Arbeit viel Erfolg und freue mich, wenn Sie meinem Angebot positiv gegenüberstehen und diese Seite den von Ihnen betreuten MCAD-Familien weiterempfehlen.
Noch eine dringende Bitte zum Abschluss: Wenn Sie das hier lesen, wird es sie höchstwahrscheinlich nicht selbst betreffen, denn Ihnen ist der MCAD-Mangel anscheinend zumindest ansatzweise ein Begriff. Aber es kommt immer noch vereinzelt vor, dass Eltern, die mit ihrem seit Stunden nichts mehr bei sich behaltenden Kind mit MCAD-Mangel in der Notaufnahme eines Krankenhauses oder einer Uni-Klinik erscheinen, von hinsichtlich des MCAD-Mangels völlig ahnungslosen Ärzten nach Hause geschickt werden, die sich von den vermeintlich einfach nur hysterischen Eltern nicht sagen lassen wollen, was dem Kind fehlt, und wie es schnellstmöglich behandelt zu werden hat.
Verehrte Ärzte! Jeder Mensch weiß, dass es den meisten Ärzten − egal welcher Fachrichtung − missfällt, wenn ihnen die Patienten sagen wollen, was zu tun ist. Aber eines sollten Sie verstehen: Es geht einzig und alleine um das Wohl des Kindes! Und da es sich bei dem MCAD-Mangel nun mal um eine wirklich sehr seltene Stoffwechselstörung handelt, können die das Kind rund um die Uhr erlebenden Eltern meistens sehr viel besser als die meisten Ärzte einschätzen, ob gerade eine riskante Situation vorliegt, oder nicht. Niemand begibt sich mit seinem Kind gerne in die Klinik, auch MCAD-Eltern nicht. Wenn diese also vor Ihnen stehen und Sie um sofortige Versorgung ihres Kindes gemäß der Angaben im Notfallausweis bitten, schieben Sie bitte, falls es noch im Wege stehen sollte, Ihr Ego beiseite, und tun Sie sofort, was die Eltern Ihnen sagen. Selbst wenn Ihnen der MCAD-Mangel noch nicht viel sagt − diese Eltern wissen genau, wovon sie reden, und Sie sollten unbedingt auf sie hören!
Einführung in das Thema
Wenn von MCAD gesprochen wird, ist streng genommen immer ein MCAD-Mangel (engl. MCAD-Deficiency, abgekürzt MCADD) gemeint. Die Abkürzung MCAD steht für das Enzym Medium Chain Acyl-CoA Dehydrogenase, welches im menschlichen Stoffwechsel für die Verarbeitung mittelkettiger Fettsäuren zuständig ist. Die eigentliche Stoffwechselstörung besteht in einem durch einen Defekt des ACADM-Gens verursachten Mangel genau dieses Enzyms. Aus diesem Grund ist die in verschiedenen Informations-Materialien und auch von Ärzten oft gleichwertig verwendete Bezeichnung “MCAD-Defekt” etwas irreführend und in den folgenden Ausführungen wird immer deutlich zwischen dem in der Bevölkerung sehr häufig auftretenden MCAD-Gen-Defekt und dem möglicherweise daraus folgenden und sehr seltenen MCAD-Enzym-Mangel unterschieden.
MCAD spricht sich in medizinischen Fachkreisen übrigens “Em-Kad” aus. Mit dieser relativ unwichtigen Information weißt Du jetzt vermutlich schon mehr über diese Stoffwechselstörung, als die Vielzahl der niedergelassenen Kinderärzte. Bisher ist der MCAD-Mangel nämlich nur einem sehr geringen Teil der Weltbevölkerung und auch nur sehr wenigen Fachärzten bekannt. Die meisten Menschen wissen nicht einmal, dass es eine solche Stoffwechselstörung überhaupt gibt.
Da besonders die Teilnehmer des früher auf dieser Seite integrierten Forums und auch neu betroffene Eltern aber für eine rege Verbreitung dieser Seite, sowohl unter ihren eigenen Kinderärzten, als auch deren bisher nicht mit MCAD-Fällen konfrontierten Kollegen sorgen, besteht eine gute Chance, dass sich der Umfang und die Qualität der Erstinformation von betroffenen Eltern durch ihren Kinderarzt in Zukunft deutlich verbessert. An dieser Stelle vielen Dank für euer Engagement!
Die Ursache für den selbst unter Ärzten noch so geringen Bekanntheitsgrad liegt darin, dass ein Vorliegen des MCAD-Mangels erst seit relativ wenigen Jahren mit dem sogenannten “erweiterten” Neugeborenen-Screening annähernd flächendeckend gezielt getestet wird. Als bei einem Patienten identifizierte Stoffwechselstörung wurde der MCAD-Mangel erstmals im Jahr 1976 beschrieben. Der dem MCAD-Mangel zugrunde liegende Gendefekt ist natürlich nicht neu und es gibt höchstwahrscheinlich eine ganze Reihe unter den vor 2000 geborenen Erwachsene, die diese Stoffwechselstörung in sich tragen, ohne es bisher bemerkt zu haben − zu ihrem Glück. Seit der Erweiterung des vorher nur wenige Stoffwechselstörungen umfassenden Basisscreenings in Deutschland, wurde der MCAD-Mangel durchschnittlich bei nur einem von 10000 Neugeborenen gefunden. Die relative Häufigkeit schwankt von Bundesland zu Bundesland ein wenig. Eine über mehrere Jahre andauernde bayerische Studie zum Neugeborenenscreening hat z.B. eine Häufigkeit von rund 1:8500 ergeben, was deutlich über dem Durchschnitt liegt. Von dem Durchschnittswert ausgehend kann man es sich so vorstellen, dass in einem Krankenhaus mit rund 1000 Geburten pro Jahr, innerhalb von 10 Jahren im Mittel also nur ein einziges Kind mit MCAD-Mangel geboren wird. Unter Berücksichtigung der derzeitigen Geburtenrate in Deutschland (2009: ca. 665.000 Geburten laut Stat. Bundesamt), kommen somit jährlich ungefähr 65 vom MCAD-Mangel betroffene Kinder neu hinzu.
Aufgespürt wurde der MCAD-Mangel bis vor wenigen Jahren nur in den Fällen, wenn ein Säugling oder Kleinkind im Rahmen eines Infekts mit schweren Krampfanfällen oder bei Bewusstlosigkeit in die Klinik eingeliefert wurde. Auch bei einigen anscheinend am unerklärlichen plötzlichen Kindstod verstorbenen Kleinkindern, bzw. deren Eltern, konnte der dem MCAD-Mangel zugrunde liegende Gendefekt im Nachhinein diagnostiziert und als Ursache angesehen werden. Für viele Kinder kam die Erkenntnis bisher leider schon zu spät, obwohl die schlimmen Folgen leicht zu verhindern gewesen wären − hätten die Eltern nur etwas von dieser unsichtbaren Bedrohung geahnt und sich auf den Ernstfall entsprechend vorbereitet.
Auch wenn die Diagnose “MCAD-Mangel” bei dem neugeborenen Kind für vermutlich alle betroffenen Eltern im ersten Moment eine Schock gewesen sein wird, können wir dennoch froh und dankbar sein, dass es überhaupt so früh gefunden wurde und wir uns nun entsprechend informieren und auf ein Leben mit dem MCAD-Mangel einstellen können. Was haben wir auch für eine andere Wahl? Auch wenn uns die Sorgen vielleicht nie ganz verlassen werden, so haben wir doch die meiste Zeit über ein völlig gesundes Kind. Es kann alles tun und lassen, hat genau so viel Freude an Unternehmungen und erlebt alles mit genau so viel Spaß und Spannung wie ein Kind ohne MCAD-Mangel. Wenn man es sich dann mal genau überlegt, ist es damit sehr viel besser dran, wie die vielen Kinder mit häufig auftretenden, daher weithin bekannten und vermeintlich harmloseren Erkrankungen, die aber teilweise wirklich zu einer stark eingeschränkten Lebensqualität führen. In den ersten paar Monaten nach der MCAD-Diagnose wird sich uns als Eltern diese Sichtweise noch ziemlich verschließen, aber im Lauf der Zeit tritt bei jedem eine stetig zunehmende Sicherheit und damit auch Gelassenheit im Umgang mit dem MCAD-Mangel ein.
Es gibt ein paar Situationen im Leben, die für unser Kind gefährlich werden können, und genau auf diese müssen wir uns als Eltern intensiv vorbereiten, damit unser Kind sie unbeschadet überstehen kann. Dazu ist es enorm wichtig, bestens über die bei unserem Kind vorliegende, äußerst seltene Stoffwechselstörung informiert zu sein und zu wissen, wie wir im Fall der Fälle reagieren müssen. Vielleicht wurde dir bei der Mitteilung des ersten auffälligen Befundes von einem extrem schlecht über den MCAD-Mangel informierten Krankenhausmitarbeiter schon gleich durch Schreckensmeldungen wie “Krampfanfälle, Koma, Hirnschädigungen und plötzlicher Kindstod” der Boden unter den Füßen weggezogen? Dann möchte ich eine andere Aussage ganz entschieden dagegensetzen: dein Kind ist schon jetzt sehr viel besser dran, denn du weißt um den Befund deines Kindes! Die zuvor genannten schlimmen Auswirkungen des MCAD-Mangels traten fast ausschließlich bei Kindern auf, deren Eltern zu dem Zeitpunkt noch nichts vom Vorliegen dieser Stoffwechselstörung ahnten, weshalb sowohl sie selbst, als auch die behandelnden Ärzte in vielen Fällen nicht schnell genug, und oft auch nicht richtig auf die vorliegende Situation reagierten.
Leider sind der Allgemeinheit zugängliche nützliche Informationen rund um den MCAD-Mangel nur sehr vereinzelt und mit viel Mühe bzw. einem hohen Zeitaufwand zu finden.
Genau zu diesem Zweck − damit wir uns alle gemeinsam immer wieder anhand aktueller Informationen und wertvoller Erfahrungen anderer betroffener Eltern auf dem Laufenden halten konnten − wurde diese Webseite 2008 ins Leben gerufen. Auf den folgenden Seiten habe ich alle von den früheren Forumsteilnehmern berichteten und von mir selbst in vielen hundert Stunden intensiver Recherchearbeit zusammengetragenen Informationen gebündelt.
Ich habe in meinen Artikeln stets versucht, die Erklärungen so einfach wie möglich zu halten, den Fokus auf das Wesentliche zu richten und weitgehend auf medizinische Fachbegriffe zu verzichten, denn die Informationen sollen in erster Linie verständlich sein. Wissenschaftliche Abhandlungen mit kilometerlangen Texten voller unverständlicher Begriffe gibt es genug
Abschreckendes Beispiel: “Die Translation der MCAD erfolgt an freien cytoplasmatischen Polysomen zunächst als 421 aa umfassendes Vorläuferprotein, dessen 25 aminoterminale Reste die vergleichsweise basische Signalsequenz darstellen. Die Translokation in die mitochondriale Matrix selbst ist von einer elektrischen Potentialdifferenz abhängig und erfolgt unter Abspaltung der Signalsequenz auf der Matrixseite. Ebenso findet dort das Assembly der Monomere sowie die Oligomerisierung zum nativen, tetrameren Enzym statt.” |
Während Ärzte an solche Formulierungen gewöhnt sind − was nicht bedeutet, dass sie sie auch selbst verstehen − können normale Nichtmediziner mit so einem Kauderwelsch überhaupt nichts anfangen. Da sich hier aber vor allem Menschen ohne tiefergehende medizinische Kenntnisse informieren, beschreiben die folgenden Artikel die teilweise recht komplizierten Sachverhalte notwendigerweise auf einer etwas vereinfachenden und abstrahierenden Ebene, ohne dabei den Anspruch zu erheben, die ganzen genetischen und biochemischen Vorgänge bis ins kleinste Detail darzustellen.
Denn die Hauptverantwortung für das Wohlergehen unserer Kinder liegt nicht bei den Ärzten − sie liegt bei uns!
Eines ist aber ganz wichtig:
Gut informiert zu sein und die Zusammenhänge verstanden zu haben ist zwar ein ganz wesentlicher Punkt, wenn es darum geht, die früher oft schlimmen Auswirkungen des MCAD-Mangels beim eigenen Kind zu vermeiden, aber es ist ist nur EIN Punkt. Eine fundierte weiterführende fachärztliche Untersuchung und Beratung, sowie die persönliche Vorstellung in einem Stoffwechselzentrum und bei einer Ernährungsberatung sind unumgänglich. Nur dann hat man alles Mögliche zum Wohl des Kindes getan.