Reicht die regelmäßige Blutzucker-Messung in Krankheitsphasen nicht aus?

Nein, obwohl viele Menschen, die sich erstmals mit dem MCAD-Mangel beschäftigen, eine starke Unterzuckerung (Hypoglykämie) zunächst als alleinige und unter allen Umständen zu verhindernde Hauptgefahr ansehen. Selbst manche Ärzte, die sich noch nicht tiefergehend mit dem Thema befasst haben, sehen darin das eigentliche Problem. Nur so ist jedenfalls zu erklären, dass es bereits mehrere MCAD-Familien gab, die von ihren Stoffwechselärzten ein Blutzuckermessgerät verschrieben bekamen und mit der Anweisung nach Hause geschickt wurden, in Krankheitsphasen (oder generell mehrfach pro Tag) regelmäßig den Blutzuckerwert des Kindes zu messen, und erst in die Klinik zu kommen, wenn er unter einen bestimmten Wert abgefallen wäre. Solange er noch über diesem Wert läge, sei alles bestens, und die Eltern müssten sich um den Zustand ihres Kindes keine Gedanken machen.

Die Empfehlung der Blutzucker-Messung zeugt nicht von großen MCAD-Kenntnissen!

Wenn dein Stoffwechselarzt auch zu den so denkenden Menschen gehört, solltest du nach Möglichkeit die Stoffwechselambulanz, oder zumindest den Arzt wechseln. Abgesehen davon, dass diese Blutzucker-Mess-Tortur lediglich dem Kind zerstochene Fingerkuppen und den Eltern eine gewaltigen psychischen Stress beschert, erlaubt die Messung des Blutzuckerwertes keine verlässliche Aussage über den aktuellen Gesundheitszustand des Kindes. Natürlich ist klar: wenn der Blutzuckerwert bei einer Messung tief im Keller ist, kann mit dem Kind etwas nicht stimmen und vermutlich wird man das auch an weiteren körperlichen Symptomen bereits sehen können. Der Umkehrschluss ist jedoch nicht zutreffend: ein trotz längerer Nüchternphase noch normaler Blutzuckerspiegel ist keinesfalls ein sicheres Zeichen dafür, dass mit dem Kind noch alles in Ordnung ist.

Je nachdem, was der Körper des Kindes in einer bestimmten Situation benötigt, wird er hauptsächlich Fett und Glukose oder nur Fett verbrauchen. Kommt es während einer kräfteraubenden sportlichen Betätigung zu einem nahezu vollständigen Verbrauch der Glukose und Glykogenreserven, wird das Gehirn auf die Nutzung von Ketonen umschalten, die immer noch beanspruchten Muskeln verbrauchen jedoch weiterhin Glukose und Fett. Als Folge können in so einer Situation die Glykogenspeicher schnell vollständig verbraucht werden und somit der Blutzuckerspiegel rasch abfallen, was dann auch mit einem BZ-Messgerät deutlich feststellbar wäre. Kommt es dagegen während der Nacht oder im Laufe einer Krankheit mit stark verminderter Nahrungsaufnahme zu einem Energiemangel, wird ebenfalls das Gehirn auf die Nutzung der Ketone umschwenken, jedoch verbrauchen die Muskeln fast keine Energie, und somit auch keine großen Mengen an Glukose. Auch wenn das Kind dann schon MCAD-typische Symptome zeigt, kann der Blutzuckerspiegel trotzdem noch lange auf normalem Niveau bleiben, denn der Körper kann die dann von den Muskeln weiterhin benötigte Glukose durch den Prozess der Glukoneogenese für eine ganze Weile auch noch selbst bilden.

Es empfiehlt sich daher, nicht eine mögliche Hypoglykämie als das alleinige große Problem des MCAD-Mangels zu betrachten, sondern ganz allgemein den bei zu langer Nüchternzeit auftretenden Energiemangel, der sich nicht immer auch am Blutzuckerspiegel zeigt!

Ein Beispiel für lange über den Beginn der Symptome hinaus noch unauffällige Blutzuckerwerte ist in folgender Grafik (Stanley et al, 1990) dargestellt.

Die Werte der unteren Achse zeigen die Anzahl der Stunden, über die der beobachtete MCAD-Patient nüchtern blieb. Die drei Kurven stellen über die Stunden hinweg den Verlauf des Blutzuckers (Glucose), der im Blut nachweisbaren freien Fettsäuren (Free Fatty Acids) und der aus diesen Fettsäuren in den Mitochondrien der Leber gebildeten und im Blut zum Gehirn transportierten Ketonkörper (Ketones) dar.

Nach einer Nüchternzeit von 12 Stunden (es handelte sich bei dem im Jahr 1990 untersuchten Patienten um einen Jungen nicht näher benannten Alters, dessen MCAD-Mangel zu dem Zeitpunkt noch nicht bekannt war) waren die Glykogenreserven des Patienten soweit aufgebraucht, dass nun die Fettreserven in den Körperspeichern aktiviert wurden. Die Menge der im Blut zu findenden freien Fettsäuren stieg erwartungsgemäß sprunghaft an, was zeigt, dass nun eine bedeutende Menge aus dem Fettgewebe gelöste Fettsäuren durch das Blut zu den verschiedenen Organen (hauptsächlich die Leber) transportiert wurde, um das auftretende Energiedefizit zu kompensieren. Typisch für den MCAD-Mangel ist nun, dass der Verlauf der Ketonkurve nicht dem Anstieg der freien Fettsäuren folgte, wie es bei Menschen ohne MCAD-Mangel der Fall wäre, sondern weiterhin auf seinem niedrigen Niveau blieb. Die direkte Verknüpfung zwischen einerseits der als Energieträger bereitgestellten Fettsäuren und andererseits der daraus gebildeten Ketone ist hier unterbrochen. Genau hierin zeigt sich das Wesen einer Fettsäuren-Oxidations-Störung!

Der gemessene Blutzuckerwert fiel zwar nach den ersten 12 Stunden Nüchternzeit ein wenig ab, blieb aber weiterhin innerhalb eines gewissen Bereichs relativ konstant und man konnte für die gesamten 32 Stunden, während denen der Patient unter Beoachtung stand, keine als solche zu bezeichnende “Hypoglykämie” (Werte unter 50mg/dL) feststellen. Bis einschließlich der Messung in der 30. Stunde war der Blutzuckerwert für einen so lange nüchternen Menschen sogar als durchaus normal zu betrachten.

Trotz dieses die ganze Zeit annähernd normalen Blutzuckerverlaufs zeigten sich bereits ab der 14. Stunde MCAD-typische Symptome (Bewusstseinsstörungen, Apathie, Schläfrigkeit), wie sie auch bei anderen Patienten mit gleichzeitig vorliegender Hypoglykämie beobachtet werden konnten. Besonders das Gehirn, welches zu dem Zeitpunkt auf die Verwertung von Ketonen umschwenkte, war durch den Energiemangelzustand stark unterversorgt.

Wie kommt es aber zu solchen Symptomen, wenn doch der Blutzucker über lange Zeit noch annähernd stabil und normal bleiben kann?

Im Körper eines Menschen mit MCAD-Mangel passiert nach einer zu langen Nüchternzeit sehr viel mehr, als “nur” eine Unterzuckerung. Eine Entgleisung wirkt sich auf eine ganze Reihe weiterer Vorgänge im menschlichen Körper aus (siehe dazu auch den Artikel “Was ist ein MCAD-Mangel“). Was dabei alles aus der “Schiene springt”, wird in der folgenden Frage behandelt.

Blutzucker