Mein erstes Kind hat einen schweren MCAD-Mangel, bei meinem Neugeborenen war das Screening unauffällig. Die Ärzte wollen es jetzt aber noch auf einen milden MCAD testen. Könnte das dabei herauskommen?

Ganz klar: NEIN! Ich persönlich würde den vielleicht bereits vereinbarten Termin für eine erneute Blutentnahme auch einfach absagen. Es sprechen nämlich zwei ganz wichtige Gründe dafür, weshalb bei deinem Kind kein milder MCAD-Mangel vorliegen kann:

  1. Dein erstes Kind hat einen nachgewiesenen schweren MCAD-Mangel, weil es von euch beiden Elternteilen jeweils eine schwere MCAD-Mutation vererbt bekommen hat − mit sehr großer Wahrscheinlichkeit die K329E (c.985a>g), oder eine seltenere andere Mutation, die aber zu einer vergleichbar schweren Funktionseinschränkung der anhand ihres Bauplans gebildeten MCAD-Enzyme führt. Ihr als Eltern seid also beide Carrier für eine schwere MCAD-Mutation. Für einen milden MCAD-Mangel muss bei eurem Kind aber mindestens eine milde Mutation (von einem Elternteil), die also nur ganz geringe Auswirkungen auf die Funktion der anhand ihres Bauplans gebildeten MCAD-Enzyme hat, auf eine vom anderen Elternteil vererbte schwere Mutation treffen, also z.B. die relativ häufige Y67H (c.199t>c) auf die K329E. Nur wenn bei dem Kind auf beiden Genkopien Mutationen vorliegen − von denen wenigstens eine zwar deutlich geringere, aber immer noch möglicherweise relevante Einschränkungen der Enzymfunktion bewirkt − spricht man von einem milden MCAD-Mangel. Wo sollte diese milde Mutation aber plötzlich herkommen? Es wäre natürlich möglich, wenngleich sehr unwahrscheinlich, dass einer von euch beiden Elternteilen selbst einen milden MCAD-Mangel hat und in seinem Erbgut z.B. die Kombination Y67H/K329E aufweist (Ich habe jetzt speziell diese Mutationskombination als Beispiel gewählt, weil die Y67H (c.199t>c) die am zweithäufigsten gefundene Mutation nach der K329E ist und seit langem als “mild” gilt. Es gibt noch deutlich mildere Mutationen, die aber allesamt extrem selten vorkommen). “Beim ersten Kind wäre dann die K329E weitergegeben worden, das Neugeborene hätte jetzt aber die Y67H abbekommen, und vom anderen Elternteil wieder die K329E. Nur in diesem Fall könnte das Neugeborene einen milden MCAD-Mangel haben. Dieser Fall ist nicht vollständig auszuschließen, aber doch extrem unwahrscheinlich. Und selbst wenn − das würde dann bedeuten, dass du oder dein Partner/deine Partnerin das bisherige Leben völlig ahnungslos und ohne etwas zu merken mit einem sogenannten “milden” MCAD-Mangel gelebt habt. So what? Was diesen extrem unwahrscheinlichen Fall aber noch viel unwahrscheinlicher macht oder sogar vollkommen ausschließt ist der zweite Grund, weshalb dein Kind keinen milden MCAD-Mangel haben kann, sondern vollkommen gesund ist:
  2. Das Screening war nämlich unauffällig! Es spielt dann auch keine Rolle, ob es sehr schnell mit dem Stillen geklappt hat, oder ob es in den ersten paar Tagen zur Sicherheit per Sonde oder Infusion ernährt wurde. Dies alles verhindert zwar wirkungsvoll, dass das Neugeborene in eine katabole Stoffwechsellage gerät, aus der dann eine Stoffwechselentgleisung folgen könnte, aber weder frühzeitiges Stillen, noch Sonde, noch Infusion können die anhand der Acylcarnitine im Screening gemessene Funktionseinschränkung der im Körper des Kindes gebildeten MCAD-Enzyme aufheben und einen vorliegenden schweren oder auch nur milden MCAD-Mangel auf Null reduzieren. Hätte das Kind einen als solchen zu bezeichnenden MCAD-Mangel, wäre dies trotz aller präventiven Ernährungsmaßnahmen im Ergebnis des NG-Screenings sichtbar geworden. Höchstwahrscheinlich wären zwar die reinen Acylcarnitinwerte (C8, C10, C12) aufgrund der ausreichenden Nahrungszuführung niedriger ausgefallen, als wenn diese Maßnahmen ausgeblieben wären, aber der Funktionseinbruch bei mittelkettiger Restlänge ist grundsätzlich anhand der Quotienten von C8/C10 oder C8/C12 zu erkennen. Ob nun 3000 oder nur 100 Kubikmeter Wasser pro Sekunde die Niagarafälle runterstürzen, sie legen trotzdem den gleichen Höhenunterschied zurück. Und ob zum Zeitpunkt der Blutentnahme viele Fettsäuren verarbeitet wurden oder wenige, der prozentuale Anteil der davon mit mittelkettiger Restlänge übrigbleibenden Fettsäuren bleibt immer ungefähr gleich. Daher hätten zumindest die Quotienten sehr deutlich über den festgelegten Normbereichen gelegen und auch die reinen Acylcarnitinwerte wären mit Sicherheit nicht in den unauffälligen Bereich unter den ohnehin sehr niedrig gewählten einzelnen Grenzwerten gefallen. Ein unauffälliges Screening bedeutet, dass dein Kind keinen MCAD-Mangel hat, weder schwer noch mild!
Warum wird trotzdem ein milder MCAD-Mangel für möglich gehalten?

Dass die Ärzte in der Klinik auch noch einen milden MCAD-Mangel ausschließen wollen (indem sie dazu nach mehreren Tagen und 3-4 Stunden Nahrungspause noch einmal Blut für ein erneutes Acylcarnitinprofil abnehmen), soll natürlich zu eurer, aber vor allem auch zu ihrer eigenen Sicherheit dienen, ist aber vollkommen unnötig. Wie oben gezeigt, kann dein Kind unter den vorliegenden Umständen überhaupt keinen milden MCAD-Mangel haben, sondern dieser weitere Abklärungs-Vorschlag (betrachte es ruhig nur als solchen!) resultiert daraus, dass man sich in der Klinik noch nicht sehr intensiv mit den Mechanismen des MCAD-Mangels und den dafür geltenden Vererbungsregeln auseinandergesetzt zu haben scheint. Vielleicht ist man sich auch bzgl. der Entstehung des milden MCAD-Mangels nicht so ganz klar und glaubt einfach nur, dass ein von beiden Elternteilen vererbter Gendefekt zu einem schweren MCAD-Mangel führt, und dass die Vererbung von nur einem defekten Gen dann einen milden darstellen würde. Das klingt im ersten Moment unwahrscheinlich, da man doch meinen sollte, dass sämtlichen Stoffwechselärzten bekannt sein müsste, dass ein MCAD-Mangel – egal ob schwer oder mild – zwingend einen beidseitigen Defekt, also auf jeder der beiden Genkopien voraussetzt. Es gab aber schon zu Forumszeiten genügend Eltern, denen gegenüber seitens ihrer Ärzte aus purer Ahnungslosigkeit heraus genau dies behauptet wurde: “Ihr Kind hat das Gleiche wie Sie, nur Sie haben es in einer milden Form und ihr Kind in einer schweren!”. Wer so etwas behauptet, setzt den reinen Carrier-Status mit einem milden MCAD-Mangel gleich und das ist Unsinn! Ein einzelnes defektes MCAD-Gen ist klinisch ohne Bedeutung und ist kein milder MCAD-Mangel. Es werden dann anhand der intakten Genkopie so viele funktionstüchtige Enzyme gebildet, dass die Fettsäurenoxidation ohne Probleme vollständig durchlaufen wird.

Mit einer großen Wahrscheinlichkeit von rund 67% ist dein Kind Anlagenträger, also Carrier für einen schweren MCAD-Mangel, weil es dazu von nur einem von euch beiden Elternteilen die entsprechende Anlage vererbt bekommen hat. Mit 33%iger Wahrscheinlichkeit hat es nur eure jeweils intakte MCAD-Genkopie bekommen und ist damit nicht mal Carrier. Die letzte Kombinationsmöglichkeit mit zwei vererbten Mutationen ist aufgrund des Screeningergebnisses bereits aus dem Rennen. Siehe dazu den Artikel “Woher kommt der MCAD-Mangel“.

Warum würde ich nun den Termin für eine weitere Blutentnahme absagen? Wie oben gezeigt, kann dein Kind keinen milden MCAD-Mangel haben und daher würde mit sehr großer Sicherheit auch das zweite Testergebnis unauffällig sein. Aus eigener Erfahrung weiß ich aber, dass unter ganz ungünstigen Umständen auch bei Carriern während der ersten paar Lebenstage (es dauert bis zu vier Wochen, bis der Stoffwechsel eines Neugeborenen richtig eingespielt ist) die im Blut gemessenen Acylcarnitinmengen mal vorübergehend minimal über den sehr niedrig gewählten Grenzwerten liegen können. Insgesamt unterscheidet sich das Acylcarnitinprofil (vor allem die Quotienten) eines solchen nur anfangs mal ganz leicht auffälligen Carriers sehr deutlich und in charakteristischer Weise von dem eines Neugeborenen mit schwerem oder mildem MCAD-Mangel, aber um das auf Anhieb zu erkennen, muss man schon einiges an Ahnung und Erfahrung mit vergleichbaren Fällen haben. Leider muss man aber eher damit rechnen, dass die sich damit nicht auskennenden Ärzte (so wie bei uns) unter diesen Umständen einfach mal wenigstens einen milden MCAD-Mangel als erwiesen ansehen würden, der von den meisten Stoffwechselkliniken dann auch nicht anders behandelt wird, wie ein schwerer. Es erfordert danach einiges an Aufwand und persönlichem Engagement von euch Eltern, um diese Diagnose mit Einholung einer Zweitmeinung zu widerlegen. Ihr habt mit dem unauffälligen Screeningergebnis aber bereits den eindeutigen und verlässlichen Nachweis, dass euer Neugeborenes keinen MCAD-Mangel hat und fertig! Lasst euch von niemandem mit wenig Ahnung einreden, dass da vielleicht doch etwas sein könnte. Ansonsten müssten auch die Eltern der anderen pro Jahr über 700.000 Neugeborenen, deren Screening hinsichtlich des MCAD-Mangels völlig unauffällig war, dieses Ergebnis in Zweifel ziehen. Unter diesen unauffälligen Neugeborenen gibt es schätzungsweise rund 12.000 Carrier. Trotzdem wird keines dieser Kinder noch einmal weiter in Richtung MCAD-Mangel untersucht. Der einzige Unterschied zu euch besteht lediglich darin, dass man für euer Neugeborenes aufgrund des MCAD-Mangels des Geschwisterkindes den Carrierstatus relativ sicher annehmen kann. Trotzdem besteht diesbezüglich kein Unterschied zwischen ihm und den 700.000 anderen mit unauffälligem Ergebnis gescreenten Kindern pro Jahr.milder MCAD trotz unauffälligem Screening