Leider nein, so schön und angenehm es auch wäre. Genetisch bedingte Stoffwechselstörungen gehören zu einer Klasse von Krankheiten, gegen die man größtenteils nicht medikamentös vorgehen kann. Es gibt zwar aktuelle Bestrebungen in den Forschungsbereichen der Bio- und Gentechnik, die Funktionsfähigkeit der Enzyme bei z.B. PKU und MCAD-Mangel durch hoch dosierte Zuführung sogenannter “Kofaktoren” zu verbessern, jedoch betrifft dies nur solche Ausprägungen, bei denen die Einschränkungen der Enzymfunktion auf eine falsche Proteinfaltung zurückzuführen sind. Darüber hinaus wurden erste Erfolge bislang fast nur bei den “milden” Ausprägungen der PKU festgestellt, während die schweren Ausprägungen nur in Einzelfällen und dann auch nur geringfügig auf die Behandlung ansprachen.
Genmanipulation als “Medikament”?
Ich hatte auch schon einmal vorgehabt, an dieser Stelle auf die Möglichkeiten einzugehen, die sich durch das 2020 mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnete “Genschere”-Verfahren “CRISPR/Cas9” eröffnen, denn dadurch könnten sich in Zukunft medizinische Einsatzmöglichkeiten der Genbearbeitung und -korrektur jenseits allen bisherigen Denkens auftun. Aber auch wenn damit − theoretisch − beliebige genetisch bedingte Erbkrankheiten wie ja auch der MCAD-Mangel im menschlichen Körper vollständig behoben, um nicht zu sagen ausradiert werden könnten, ist die Forschung noch lange nicht so weit, dieses Verfahren in Form eines zuverlässig wirkenden Medikaments auf den Markt zu bringen. Man will schließlich nicht riskieren, durch eine bewusst herbeigeführte Genmanipulation im Erbgut, einen MCAD-Mangel (vielleicht) zu beseitigen und versehentlich ein eigentlich stillgelegtes Krebsgen zu aktivieren. Und selbst wenn es in ein paar Jahren wirklich möglich sein sollte, eine genetische Mutation innerhalb der DNA so sicher wie in einem Textverarbeitungsprogramm einfach durch Löschen und Ersetzen mit den richtigen Buchstaben zu korrigieren, stehen der praktischen medizinischen Anwendung immer noch jede Menge Hürden in Form geltender Gesetze gegen die Genmanipulation entgegen. Daher möchte ich CRISPR/Cas9 an dieser Stelle zwar nicht unerwähnt lassen, aber dabei soll es auch vorerst bleiben. Wen das Thema aber weiter interessiert, kann z.B. auf den Seiten der Max-Planck-Gesellschaft nähere Informationen dazu finden.
Manches ist nur für die Forschung von Bedeutung
Zurück zu den gezielten wissenschaftlichen Bestrebungen zur Behandlung des MCAD-Mangels. Bereits vor einigen Jahren wurde in ein paar Studien eine leichte positive Wirkung einer auf lange Zeit angelegten täglichen Gabe von Riboflavin (Vitamin B2) auf die Aktivität des MCAD-Enzyms beobachtet, allerdings sind diese gemessenen Aktivitätssteigerungen bislang vor allem für die Forscher interessant, haben aber noch keine nennenswerte Bedeutung für das tägliche Leben der selbst vom MCAD-Mangel betroffenen Menschen. Riboflavin ist somit nicht als Medikament zu betrachten, denn es hilft keineswegs, einen schweren MCAD-Mangel in einen milden zu verwandeln, oder gar vollständig zu heilen.
Es bleibt darüber hinaus übrigens zweifelhaft, ob es jemals ernsthafte Bestrebungen geben wird, ein auf welche Weise auch immer den MCAD-Mangel heilendes oder zumindest unterdrückendes Medikament zu entwickeln und in den Handel zu bringen. Dazu gibt es einfach zu wenige Betroffene in der Bevölkerung, und deren Behandlung ist zu kostengünstig, wenn man es mal mit den Betroffenen anderer Stoffwechselstörungen vergleicht, für deren Überleben fortwährend sehr aufwändige Behandlungen notwendig sind, die die Krankenkassen sehr viel Geld kosten. Menschen mit MCAD-Mangel müssen für ein weitgehend unbeschwertes Leben dagegen “nur” auf regelmäßige Nahrungsaufnahme achten, und die paar präventiven Glukose-Infusionen während schwieriger Krankheitsphasen rechtfertigen für niemanden die Investition hoher Summen in die Entwicklung eines dann womöglich selbst noch extrem teuren und dauerhaft einzunehmenden Medikaments, das in der Lage wäre, die Auswirkungen des MCAD-Mangels ein wenig abzuschwächen − Auswirkungen, die im normalen, gesunden Alltag ohnehin nicht spürbar sind. Auch das inzwischen nur noch von wenigen Stoffwechselärzten zur täglichen Einnahme verordnete Carnitin fällt mit seinem relativ hohen Preis da nicht wesentlich ins Gewicht.
Man braucht somit vermutlich keine Hoffnungen in ein in näherer Zukunft auf den Markt kommendes Medikament zu setzen, denn auch selbst, wenn die Pharmaindustrie es tatsächlich wollte − auf den Gebieten der Bio- und Gentechnik wird zwar intensiv geforscht, aber bis zur flächendeckenden medizinischen Einsetzbarkeit werden noch viele Jahre vergehen.
Sich gut auszukennen ist die beste “Medizin”
Sowohl für Eltern von betroffenen Kindern, als auch für die Betroffenen später selbst, als auch für die mit Stoffwechselstörungen befassten Ärzte ist deshalb das Begreifen der Physiologie, also den mit dem (Fett-)Stoffwechsel in Verbindung stehenden physikalischen und biochemischen Vorgängen in den Zellen und Organen, das A und O, um den MCAD-Mangel erfolgreich behandeln und seine möglichen Auswirkungen vermeiden zu können! Dies ist die wichtigste Feststellung überhaupt, und genau deshalb ist es für jede betroffene Familie von größter Bedeutung, sich selbst ausgiebig über den MCAD-Mangel zu informieren.