Seit einiger Zeit bemerke ich an meinem Kind einen fischigen Geruch. Woher kommt das?

Sicher nimmt dein Kind Carnitin ein, oder? Der zunächst in der Windel, aber möglicherweise auch im Schweiß feststellbare fischige Geruch kommt vom Trimethylamin (TMA). Dabei handelt es sich um die Substanz, die auch alten Fisch zum Müffeln bringt. TMA befindet sich am Ende des Carnitin-Moleküls, und wird normalerweise durch das in der Leber und auch sonst im Körper zu findende Enzym TMA-Oxidase zu TMAO (Trimethylamin-Oxid) umgebaut, welches selbst wieder geruchlos ist. Bei manchen Menschen liegt nun durch einen genetischen Defekt ein Mangel dieses Enzyms vor, sodass das TMA nicht in ausreichendem Maß zu TMAO verarbeitet werden kann. Diese Menschen leiden am sogenannten “Fischgeruchs-Syndrom”. Dieses liegt bei deinem Kind jedoch mit großer Sicherheit nicht vor. Jedoch kann das Enzym TMA-Oxidase auch einfach durch zu große Mengen an TMA überfordert werden. Wie auch immer − wenn aus dem Darm heraus mehr TMA in den Körper gelangt, als durch das Enzym verarbeitet werden kann, wird es auf anderen Wegen ausgeschieden. Vor allem im Urin und im Schweiß.

Nur 15% des durch den Mund (oral) aufgenommenen Carnitins (z.B. in Form von BioCarn) wird auch als Carnitin vom Körper absorbiert. Der Rest wandert durch den Magen in den Darm und wird dort von bestimmten Bakterien in seine Bausteine aufgespalten. Dabei wird das TMA freigesetzt. Ein Teil davon verbleibt im Darm und führt zum fischigen Geruch in der Windel, ein anderer Teil wird von der Darmschleimhaut aufgenommen und zur Leber transportiert. Wird das dieses TMA zu TMAO verarbeitende Enzym in der Leber durch die Menge an TMA überfordert, gelangt das überschüssige TMA in den Blutkreislauf und wird im gesamten Körper verteilt. Dann ist der fischige Geruch auch in allen Körperausdünstungen enthalten.

Der fischige Geruch kommt von zuviel Carnitin

Stellt man bei einem Kind auf Carnitintherapie diesen fischigen Geruch fest, ist dies ein deutliches Zeichen dafür, dass mehr Carnitin verabreicht wird, als sein Körper zu verarbeiten in der Lage ist. Erste Maßnahme ist, die tägliche Carnitindosis auf mehrere kleinere Portionen aufzuteilen. Warum das bereits einen deutlichen Unterschied machen kann, lässt sich vielleicht mit dem folgenden Beispiel nachvollziehen: Nehmen wir mal an, du trinkst täglich insgesamt 2 Liter Wasser. Stell dir nun vor, du würdest diese 2 Liter nicht über den Tag hinweg Glas für Glas  trinken, sondern am Morgen als eine große Portion zu dir nehmen wollen. Warum auch nicht, schließlich heißt es doch immer nur, dass man “pro Tag” mindestens 2 Liter Wasser trinken soll. Dann kann man es doch auch gleich am Morgen hinter sich bringen. Du kannst dir sicher sehr gut vorstellen, wie das ausgehen wird. Spätestens sobald der Magen voll ist, wird das weiter aufgenommene Wasser zuerst die Speiseröhre und schließlich den Mund füllen und die restlichen 1-1,5 Liter sprudeln dann einfach nur noch aus deinem Mund über dich und machen dich nass. Auf diese Weise hast du also nur 0,5 bis 1 Liter Wasser zu dir genommen und somit dein Tagesziel bei weitem nicht erreicht, denn der ganze Rest ging vollständig verloren. In etwa das Gleiche passiert bei der Einnahme von Carnitin im Körper deines Kindes, wenn die Dosis zu groß ist. Natürlich macht so ein Teelöffel voll Sirup nicht den Magen voll, aber innerhalb einer gewissen Zeitspanne kann halt auch nur eine gewisse (kleine) Menge Carnitin in den Körper aufgenommen werden. Ist die verabreichte Dosis aber z.B. doppelt so groß, geht die zweite Hälfte im übertragenen Sinne daneben und wird dann der oben beschriebenen Verarbeitungskette zugeführt, die mit der Bildung des unangenehmen Fischgeruchs endet. Die Gesamtdosis auf eine halbe Portion morgens und die andere halbe Portion abends aufzuteilen, kann dies unter Umständen bereits wirkungsvoll verhindern. Falls aber selbst das zu keiner Verbesserung führt, sollte in Absprache mit dem Stoffwechselarzt die tägliche Dosis verringert werden.

Der fischige Geruch an sich ist nicht schädlich, aber doch sehr unangenehm − und selbst wenn du dich über kurz oder lang an den “Geruch” deines Kindes gewöhnen und ihn nicht mehr in dem Maße als unangenehm empfinden wirst, nehmen ihn andere Menschen − auch gleichaltrige Kinder im Kindergarten oder in der Schule − doch sehr viel deutlicher wahr. Im Interesse der Gesellschaftsfähigkeit deines Kindes sollte deshalb auch der Stoffwechselarzt bereit sein, geeignete Maßnahmen zur Reduzierung dieses Problems zu ergreifen. Eine Aussage wie “Der Fischgeruch ist ja wohl das kleinere Übel!” ist absolut nicht zu akzeptieren! Fortwährende Hänseleien und gesellschaftliche Ausgrenzung sind für Menschen jeden Alters, aber besonders für Kinder sehr viel schlimmer, als irgend so eine ominöse Stoffwechselstörung, an der sie nach anderer Leute Aussage angeblich leiden sollen, von der sie aber in ihrem normalen Leben üblicherweise überhaupt nichts merken.

Die geringe Absorptionsfähigkeit des oral aufgenommenen Carnitins (die oben erwähnten max 15%) ist Fakt, und es wurde in Studien nachgewiesen, dass es auf diesem Weg grundsätzlich Wochen und Monate dauert, um den körpereigenen Carnitinpool langsam aufzufüllen, egal wie hoch die tägliche Carnitindosis auch sein mag. Je mehr ins Kind reingefüllt wird, desto mehr wird einfach wieder ausgeschieden und desto mehr TMA wird freigesetzt. Daher ist es empfehlenswert in Absprache mit dem Stoffwechselarzt eine auf die tatsächlichen Bedürfnisse des Kindes angepasste Carnitindosis auszutesten, denn die wird seinen Carnitinpool ebenso schnell auffüllen, aber zu weniger unangenehmen Nebenwirkungen führen, denn neben dem fischigen Geruch können zu hohe Carnitindosen auch zu Durchfall und Bauchschmerzen führen.

Sollte die Verordnung der täglichen Carnitingabe übrigens ohne triftigen medizinischen Grund erfolgt sein (in manchen Stoffwechselambulanzen macht man das einfach so, weil man es dort halt so macht), und bisher nichts auf einen sich auch nur ansatzweise abzeichnenden Carnitinmangel hindeuten, wäre ggf. die Einholung einer zweiten Meinung in einer anderen Stoffwechseleinrichtung zu empfehlen.fischiger Geruch durch zuviel Carnitin Vor allem dann, wenn bei deinem Kind die häufige bekannte milde MCAD-Variante K329E/Y67H (c.985a>g/c.199t>c) oder eine zu einer milden Form passende gemessene Enzymaktivität von 18% oder höher vorliegt, ist es sehr unwahrscheinlich, dass es zu einem Carnitinmangel kommen könnte.