Wer die Situation nicht selbst schon hinter sich hat, wird sie in nicht allzu ferner Zukunft mit Sicherheit selbst erleben. Spätestens wenn dein Kind in den Kindergarten kommt, siehst du dich der Herausforderung ausgesetzt, den Erzieherinnen in relativ kurzer Zeit und doch ausführlich genug eine Erklärung bieten zu müssen, was sich hinter diesem ihnen höchstwahrscheinlich völlig unbekannten MCAD-Mangel verbirgt, an dem dein Kind vermeintlich “leidet”.
Selbst wenn du es schaffst, ihnen die bei deinem Kind gestörten Stoffwechselvorgänge und daraus resultierenden möglichen Risiken auf sehr niedrigem Niveau zu erläutern (dazu gibt es im Downloadbereich einen auf dein Kind anpassbaren Infobrief), wird bei den meisten Menschen doch nur eine Erkenntnis hängen bleiben: das Kind ist irgendwie krank.
Dies ist auch sehr verständlich, denn wenn man sich an an die ersten Tage und Wochen nach der Befundmitteilung über den MCAD-Mangel des eigenen Kindes zurückerinnert, wird man feststellen, dass man nach der Erstinformation zunächst mal auch das Verständnis hatte, dass das Kind krank, vielleicht sogar schwer krank sei. Dass es aber “nur” eine Stoffwechselstörung hat, und dies schon alleine aus medizinischer Sicht etwas völlig anderes ist, als eine chronische Krankheit, ist eine Sichtweise, zu der man erst einmal selbst gelangen musste. Dieser Schwenk von “mein Kind ist krank” zu “mein Kind hat zwar eine Stoffwechselstörung, aber ist nicht chronisch krank” erforderte eine gewisse Reifung, die ein paar Wochen, oder sogar Monate dauerte. So etwas werden die Erzieherinnen der Kita jedoch nicht erleben, denn sie haben weder die Zeit, noch die Motivation, sich so intensiv mit den medizinischen Hintergründen des − äh, wie hieß die Krankheit nochmal − zu befassen, dass sich bei Ihnen von selbst dieser Wechsel der Sichtweise einstellen könnte.
Wo liegt überhaupt das Problem?
Nun, genaugenommen kann es dir eigentlich egal sein, ob die Erzieher im Kindergarten, oder später die Lehrer in der Schule die wahre Natur des MCAD-Mangels verstehen, oder nicht, solange sie nur wissen, wie sie im Notfall zu reagieren haben, und ansonsten dein Kind ganz normal, also wie jedes andere auch behandeln.
Es haben aber Eltern auch schon die Erfahrung gemacht, dass ihr Kind vom ersten Moment bei den Erzieherinnen den “dieses Kind ist krank”-Stempel aufgedrückt bekam, weil dies nun mal das Verständnis war, das sich aus dem Vorgespräch bei ihnen eingebrannt hatte. Ein Kind mit MCAD-Mangel ist aber im medizinischen Sinne nicht in einem dauerhaft kranken Zustand, daher sollte ihm auch nicht ungerechtfertigter Weise von Dritten dieser Stempel aufgedrückt werden. Schon gar nicht sollte dieses falsche Verständnis dazu führen, dass das Kind innerhalb der Kita-Gruppe oder der Schulklasse als “das kranke Kind” herausgestellt wird, aufgrund dessen ihm eine Sonderbehandlung gewährt werden muss. Das hat es nun wirklich nicht verdient, und das ist auch nicht gerechtfertigt.
Ein Kind mit MCAD-Mangel ist nicht krank, sondern hat nur eine Funktionsstörung!
Das Vorhandensein einer Stoffwechselstörung bedeutet, dass im Körper eines davon betroffenen Menschen etwas nicht ganz so, wie bei den meisten anderen Menschen funktioniert. Das trifft aber z.B. auch auf einen blinden Menschen zu, dessen Sehsinn − aus welchem medizinischen Grund auch immer − nicht funktioniert. Dies bezeichnet man dann zwar als Behinderung, aber nicht als Kranksein, und auch kein blinder Mensch würde von sich selbst sagen, dass er sich durch die Blindheit krank fühle. Natürlich muss er mit den ihm verbleibenden Sinnen vermehrt auf seine Umgebung achten und Vorsichtsmaßnahmen treffen, um sich nicht zu verletzen oder durch einen Unfall zu schaden zu kommen, aber alleine der Umstand blind zu sein, bedeutet nicht, dass man auch krank sei.
So bedeutet auch das Vorliegen des MCAD-Mangels im Körper eines davon betroffenen Kindes für sich selbst genommen nicht, dass dieses Kind deshalb krank ist. Etwas verwirrend ist in diesem ganzen Zusammenhang allerdings schon, dass der in engem Zusammenhang stehende Begriff “Krankheit” definiert wird als “Störung der Funktion eines Organs, der Psyche oder des gesamten Organismus.” Nach dieser Definition ist jegliche Abweichung von der optimalen Gesundheit eine Krankheit, und auch der zuvor erwähnte Blinde würde insofern an einer Krankheit leiden, auch wenn er sich selbst nicht als krank empfindet.
In diesem rein medizinischen Sinne kann der MCAD-Mangel also durchaus als Krankheit im Sinne der Störung einer gewissen organischen Funktion bezeichnet werden. Dies bedeutet allerdings nicht, dass ein davon betroffener Mensch als chronisch und somit ständig krank zu bezeichnen wäre. Normalerweise ist nämlich selbst ein Kind mit MCAD-Mangel so gesund, wie jedes andere Kind auch, kann genau das gleiche leisten und genauso herumtoben, wie alle seine im Vergleich zu ihm vermeintlich “gesunden” Altersgenossen. Vor allem aber ist es nicht “ansteckend”! Auch das ist etwas, was vor allem kleine Kinder mit dem Kranksein in Verbindung bringen. Wenn sie krank sind, müssen sie zu Hause bleiben, damit sie andere Kinder in Kita oder Schule nicht anstecken − sonst werden die auch krank. Oder noch schlimmer − sie selbst sind jetzt krank geworden, weil ein anderes Kind in ihrer Gruppe krank ist oder war, und sie sich bei ihm angesteckt haben. Ein Kind, was von den Erziehern gegenüber der Gruppe pauschal als krank dargestellt wird, ist immer irgendwie anders. Vor allem dann, wenn es jeden Tag auch zwischendurch mal ein Brötchen oder einen Müsliriegel essen darf, was den anderen Kindern der Gruppe vielleicht nicht zugestanden wird. Wenn diese dann nachfragen, warum der und nicht sie, und sie dann zur Antwort bekommen: “Der X. ist krank, der darf das!” wird diese ungerechtfertigte und falsche Herausstellung der kleinen Besonderheit des Kindes ständig wieder neu aufgefrischt.
Dein Kind ist nicht krank, sondern normalerweise absolut gesund. Es kann wie jedes andere Kind durch Krankheitserreger krank werden, und aufgrund des MCAD-Mangels kann es unter gewissen Gegebenheiten auch sehr viel kränker werden, als andere Kinder, aber dies ist eine ganz seltene Ausnahme und nicht der Normalzustand.
Wie kann man diese viel mehr den Tatsachen entsprechende Sicht der Dinge aber anderen Personen vermitteln, die über so gut wie kein Hintergrundwissen verfügen, und auch längst nicht die Zeit haben, um durch eigene Überlegungen zu dieser gänzlich anderen Sichtweise zu gelangen?
Erkläre den MCAD-Mangel anhand eines genau entgegengesetzten Beispiels − einer Allergie.
Ist der MCAD-Mangel eine Allergie? Nein, er ist gewissermaßen genau das Gegenteil, aber wenn man Menschen ohne jegliche Vorkenntnis den MCAD-Mangel erklären will, ist es sinnvoll, sie anhand etwas allgemein Bekanntem gedanklich abzuholen und von dort aus den dann sehr viel leichter nachvollziehbaren Schwenk zu den Besonderheiten des MCAD-Mangels durchzuführen.
Von Allergien sind sehr viele Menschen betroffen. Es ist ein sehr häufig und sehr ausführlich in den Medien behandeltes Thema, mit dem die Allgemeinheit somit bestens vertraut ist. Daher dürfte niemand Probleme damit haben, die folgende Eklärung nachzuvollziehen, mit der Du die kleine Besonderheit deines Kindes in einem Gespräch mit den Erzieherinnen verdeutlichen könntest:
Variante 1: Erklärung für Erwachsene
Hat jemand eine Allergie auf z.B. Erdnüsse, dann wird er krank (im hier verwendeten umgangssprachlichen Sinn), wenn er Erdnüsse zu sich nimmt. Es kann für ihn dann aufgrund der Erdnüsse sogar richtig gefährlich werden. Solange er aber ganz gezielt und bewusst auf das Essen von Erdnüssen verzichtet, ist er nicht im geringsten krank, sondern völlig gesund − so gesund, wie jeder andere Mensch auch. So verhält es sich bei jeder Form von Allergie oder Unverträglichkeit. Kommt der Allergiker mit dem für ihn allergieauslösenden Stoff in Berührung, wird er krank. Solange er diesen Stoff konsequent meidet, ist er − zumindest in dieser Hinsicht − so gesund, wie man nur sein kann.
Bei deinem Kind ist es nun genau entgegengesetzt. Eine Stoffwechselstörung wie der MCAD-Mangel ist gewissermaßen genau die Umkehrung einer Allergie. Dein Kind ist normalerweise völlig gesund − so gesund wie alle anderen Kinder in der Kita auch. Damit das aber auch ganz sicher so bleibt, muss es (im Gegensatz zum Nahrungsallergiker, der auf gewisse Lebensmittel gezielt verzichten muss, und trotzdem nicht “krank” ist) aber regelmäßig bestimmte Sachen essen, dazu gehören z.B. Brötchen, Müsliriegel, Obst, gesüßte Getränke usw. Nur dann, wenn es das nicht macht, kann es unter gewissen Umständen (z.B. stark anstrengende Aktivitäten und dabei ausbleibende Nahrungsaufnahme) passieren, dass ihm die Energie ausgeht, und es infolgedessen “krank” wird.
Du solltest gegenüber den Erzieherinnen auch ausdrücklich erwähnen, dass diese mit dem MCAD-Mangel zusammenhängenden, schon von jeher nur seltenen Krankheitssituationen, heutzutage bei fast keinem davon betroffenen Kind mehr auftreten, da man inzwischen sehr genau weiß, wie einfach und wirksam die Prävention ist. Allergiker müssen bestimmte Nahrungsmittel gezielt vermeiden, Menschen mit MCAD müssen zwischendurch mal was essen.
Dass sich dieses “zwischendurch mal was essen” erfahrungsgemäß in manchen Phasen gar nicht so einfach darstellt, wie es sich anhört, muss man in dem Zusammenhang ja nicht auch noch erwähnen.
In gleicher Weise kann man den MCAD-Mangel auch kleinen Kindern erklären, allerdings sollte dies dann anhand eines oder mehrerer konkreter und bekannter Beispiele erfolgen und nicht anhand eines abstrakten Allergiebegriffs. Im günstigsten Fall gibt es in der Kita-Gruppe deines Kindes noch andere Kinder, die aufgrund einer Allergie oder Nahrungsmittelunverträglichkeit auf bestimmte Lebensmittel verzichten müssen.
Die Erzieherinnen könnten dann beispielsweise im morgendlichen Stuhlkreis das Thema auf folgende Weise ansprechen:
Variante 2: Erklärung für Kinder
Ihr wisst ja alle, dass Alina keine Milch trinken darf, weil es ihr sonst nicht gut geht, und ihr schlecht werden kann. Ihr anderen könnt Milch trinken, und euch wird davon nicht schlecht. Und Bastian darf nichts essen, wo Eier drinnen sind, sonst geht es ihm auch nicht mehr gut. Und Carolin hat bei Geburtstagen immer Muffins aus Dinkelmehl dabei, weil sie von Brot oder Kuchen mit Weizenmehl nichts essen darf, weil diese Sachen nicht gut für sie sind.
Bei Dustin ist das so ähnlich, aber während Alina, Bastian und Carolin bestimmte Sachen nicht essen dürfen, weil es ihnen sonst nicht mehr gut geht, oder ihnen davon schlecht wird, muss Dustin zwischendurch bestimmte Sachen essen, z.B. ein Brötchen oder auch mal einen Müsliriegel, sonst kann es passieren, dass es ihm auch nicht mehr gut geht.
Das ist schon alles. Mehr müssen die Kinder nicht wissen, und auf diesem Niveau können es selbst Kindergartenkinder problemlos verstehen und auch akzeptieren. Weil es oft auch in der Familie, in der Verwandtschaft, oder auch im Freundes- oder Bekanntenkreis so häufig vorkommt, dass jemand gegen irgendetwas allergisch ist, oder eine Unverträglichkeit gegen bestimmte Nahrungsbestandteile hat, sind die meisten Kinder schon mal irgendwo mit diesem Thema in Berührung gekommen und haben meist keinerlei Problem damit, dass es auch in ihrer Kindergartengruppe einzelne Kinder gibt, die bestimmte Sachen nicht essen dürfen − und die gelten unter ihnen und den Erzieherinnen nicht im geringsten als “krank”.
Auch kleine Kinder erkennen schon den deutlichen Unterschied zwischen den Aussagen “damit es dem Kind auch weiter gut geht, muss es zwischendurch was essen” und “das Kind ist krank und muss deshalb zwischendurch immer was essen”.