Sehr geehrte Experten der Stoffwechselzentren und Ernährungsberatungen,
mit diesem Artikel möchten ich Sie zum gezielten Nachdenken über ein paar den MCAD-Mangel betreffende Themen anregen. Die während der Sprechstunden von vielen Ärzten und Ernährungsberatern den Eltern mitgeteilten und im folgenden aufgeführten Aussagen, sind bei näherer Betrachtung und unter Einbeziehung von Hintergrundinformationen nicht nachvollziehbar, bzw. scheinen sie den über viele Jahre gemachten Erfahrungen der MCAD-Betroffenen, sowie den Ergebnissen diverser Studien deutlich zu widersprechen.
Daher meine Bitte an Sie, über die folgenden, aus meiner Sicht mehr als fraglichen Aussagen, noch mal in Ruhe nachzudenken. Natürlich kann es durchaus sein, dass Sie mit diesen Auskünften völlig richtig liegen! Ich und auch die betroffenen Eltern würden uns dann aber eine fundierte Erläuterung dazu wünschen, statt der üblicherweise ohne weitere Begründungen gegebenen “Geht nicht!”– oder “Ist so!”-Aussagen.
Im Übrigen muss an dieser Stelle einmal deutlich gesagt werden, dass es ein Unding und aus Elternsicht nicht im geringsten vertraueneinflößend ist, wenn − wie es leider öfters in den deutschen Stoffwechselambulanzen vorkommt − der betreuende Stoffwechselexperte oder Ernährungsberater zwecks Beantwortung von Fragen zum MCAD-Mangel immer erst in der MCAD-Broschüre von Nutricia Metabolics (früher von Milupa) nachschlagen und daraus vorlesen muss. Lesen können die Eltern selbst! Wenn sie fragen, erhoffen sie sich Antworten, die über das bereits selbst Gelesene hinausgehen! Sollte diese zwar an sich sehr gute, aber doch nur für absolute MCAD-Anfänger geeignete Broschüre alles sein, worauf sich die Fachkenntnisse der betreffenden Stoffwechselexperten oder Ernährungsberater hinsichtlich des MCAD-Mangels beschränken, wäre es fair, die Eltern an eine ebenfalls erreichbare andere Klinik mit umfassenderen Erfahrungen zum MCAD-Mangel zu verweisen.
Aussage: Kinder mit MCAD-Mangel können nicht, oder nur sehr schwer abnehmen
Natürlich ist verständlich, dass vom MCAD-Mangel betroffene Personen keine radikale Fastendiät machen dürfen, da ihr Körper nicht genügend Energie aus den Fettreserven erzeugen kann, wenn diese als einziger Energiespeicher übrigbleiben. Zwischen “nicht schnell abnehmen dürfen” und “nicht abnehmen können” besteht aber ein deutlicher Unterschied. Aufgrund der Erfahrungen verschiedener früherer Forenmitglieder, deren Kinder trotz (schwerem) MCAD-Mangel bereits deutliche Gewichtsschwankungen durchgemacht haben, stellt sich aber vielmehr die Frage:
Könnte es sein, dass Kinder mit MCAD-Mangel bei gleicher Ernährungsweise sogar viel leichter als andere Kinder abnehmen?
Diese These soll hier anhand folgender Überlegungen ausgeführt werden:
1kg reines Körperfett hat für einen Nicht-MCADler 7000 kcal gespeichert (eigentlich rechnet man für jedes Gramm Fett mit einem Energiegehalt von 9,3kcal; da Körperfett aber auch einen Wasseranteil enthält, wird in diesem Fall mit 7kcal/g gerechnet). Um dieses Kilo Fett wieder loszuwerden, muss man eine Menge Treppen steigen (als Erwachsener rund 15 Stunden lang).
Für ein Kind mit MCAD sind diese 7000 kcal aber nur rund 3500 kcal “wert”. Wenn es also über einen gewissen Zeitraum hinweg neben der Energie, die aus der täglichen Nahrung kommt, auch noch 3500 kcal aus dem Fettgewebe genutzt hat, hat es damit 1kg Körperfett abgebaut. Aufgrund des MCAD-Mangels wird von jeder enthaltenen langkettigen Fettsäure nur die Hälfte, insgesamt also nur 500g Fett zur Energiegewinnung genutzt, die restlichen 500g werden an Carnitin gekoppelt als mittelkettige Fettsäurenreste ausgeschieden. Das dauert natürlich eine Weile, kann aber bei konsequent fettreduzierter und kalorienmäßig auf den tatsächlichen täglichen Bedarf ausgerichteter Ernährung sicher relativ problemlos erreicht werden.
Jedes andere Kind muss diese 7000 kcal in vollem Umfang abbauen, bis es sein Körperfett um 1kg reduziert hat. Es braucht also bei gleicher Lebensweise und gleicher sportlicher Betätigung doppelt so lang.
Anders ausgedrückt: wenn ein Kind pro Tag durchschnittlich 1000 kcal (einfach mal angenommen) benötigt, und sich diese zu 800 kcal aus Kohlenhydraten und 200 kcal aus Fett zusammensetzen, dann verbraucht ein Kind ohne MCAD dabei
800 kcal : 4,1 kcal/g = 195g Kohlenhydrate und 200 kcal : 7 kcal/g = 28 g Fett
Ein Kind mit MCAD verbraucht dabei ebenfalls
800 kcal : 4,1 kcal/g = 195g Kohlenhydrate, aber 200 kcal : 3,5 kcal/g = 56 g Fett
Dabei scheidet es natürlich entsprechend mehr Acylcarnitin mit Fettsäurenresten aus, aber solange es zu keinem Carnitinmangel kommt, ist ja alles im grünen Bereich.
Die oben aufgestellte These steht und fällt natürlich mit einer bestimmten Frage:
Baut der Stoffwechsel eines Kindes mit MCAD im Verlauf eines normalen und gesunden Tages auch wirklich entsprechend mehr Körperfett ab, um seine Energiebilanz zu decken, oder schafft er nur genau so viel wie beim Kind ohne MCAD und hat am Ende ein Minus in der Energiebilanz, welches dann wieder anhand von Kohlenhydraten ausgeglichen werden muss? |
Um noch mal das Beispiel von oben zu bemühen, nun folgende neue Berechnung:
Das Kind mit MCAD − es handelt sich dabei um einen mittelmäßigen Esser, der täglich immer gerade so seine benötigte Nahrungsmenge zu sich nimmt − braucht an einem normalen Tag 1000 kcal, um seinen Gesamtumsatz zu decken. Irgendwoher muss es diese Energie nun mal nehmen!
Es verwertet die mit der Nahrung aufgenommenen 195g Kohlenhydrate:
195g x 4,1 kcal/g = 800 kcal
Nun die Annahme: Wie ein Kind ohne MCAD kann es aber in der gleichen Zeit auch nur 28g Fett verwerten, weil ein verstärkter Fettabbau einfach stoffwechseltechnisch nicht möglich ist.
28 g x 3,5 kcal/g = 98 kcal
Benötigt würden aber die gesamten 200 kcal. Bleibt ein Minus von rund 100 kcal, welches mit Hilfe der Glykogenvorräte der Leber oder des Muskelgewebes ausgeglichen werden muss.
Sollte der ganze Mechanismus so funktionieren, dann könnte ein vom MCAD-Mangel betroffenes Kind tatsächlich so gut wie nicht abnehmen, weil es pro Tag nur eine gewisse Menge Fett aus der Nahrung zu nutzen in der Lage wäre, um daraus Energie (und zwar nur die Hälfte) zu gewinnen. Alles, was übrig bliebe, würde ins Fettgewebe wandern. Um abzunehmen müsste man ganz genau darauf achten, mit dem in der Nahrung enthaltenen Fett diese verwertbare Menge zu unterschreiten, damit dann auch noch zusätzlich ein paar wenige Gramm Körperfett abgebaut werden könnten.
Gleichzeitig folgt daraus, dass jedes überzählige Gramm Nahrungsfett sofort auf den Fettpolstern landete, und die Kinder bei normaler, d.h. nicht speziell fettreduzierter Lebensweise ständig nur zunehmen würden. Da viele Stoffwechselärzte behaupten, die Eltern müssten hinsichtlich der Ernährung auf gar nichts achten, und dieser Rat von den meisten der betreffenden Eltern auch befolgt wird, müssten diese Kinder bei den Mengen an Fett, die in den üblichen Lebensmitteln enthalten sind, sogar ziemlich schnell kugelrund werden.
Ausserdem stünde jedes Kind, das täglich auch nur ein paar Gramm Kohlenhydrate zu wenig isst, ständig in der Gefahr, eine Entgleisung zu erleiden. Die Glycogenvorräte würden sich nämlich kontinuierlich reduzieren, wenn die täglich verbrauchte Energie nicht vollständig durch die Nahrung ausgeglichen werden könnte. Damit dürfte ein MCAD-Patient auch niemals den Versuch einer Gewichtsreduktion unternehmen.
Wie gesagt − dies alles wäre dann der Fall, wenn der Stoffwechsel wie zuvor beschrieben funktionieren sollte und auch bei Bedarf einfach nicht mehr Fett abbauen könnte. Die Ergebnisse einer Studie von 2001 (Fletcher, J.M., Pitt, J.J. Fasting medium chain acyl- Coenzyme A dehydrogenasedeficient children can make ketones) legen aber die Annahme nahe, dass ein solcher bedarfsangepasster, vermehrter Fettabbau sehr wohl erfolgt. Diese Studie hat gezeigt hat, dass auch Kinder mit K329E homozygot nach einer Fastenzeit von 9-9,5 Stunden eine ähnliche Konzentration an Ketonkörpern gebildet haben, wie Kinder ohne MCAD-Mangel.
Anmerkung:
Von einem Stoffwechselarzt kam inzwischen als Reaktion auf die Erwähnung dieser Studie die Aussage, dass daran ja nur 3 Kinder teilgenommen hätten und die Studie daher nicht aussagekräftig sei, hinsichtlich der Frage, ob Kinder mit MCAD überhaupt Ketonkörper bilden könnten. Unabhängig von der o.g. Studie steht aber auch in der allseits bekannten und von den Stoffwechselzentren gerne an die Eltern verteilten Milupa-Broschüre zum MCAD-Mangel folgende Aussage (Seiten 9/10).
“[…]Bei Menschen mit MCAD-Mangel erfolgen die ersten Schritte der Fettsäurenverkürzung noch ganz normal, denn hier ist das Enzym VLCAD verantwortlich. Ab einer Kettenlänge von nur noch 12 Kohlenstoffeinheiten ist die weitere Fettsäurenverkürzung jedoch nicht mehr möglich. Hier stoppt der Fettsäurenabbau. Dadurch kann nur ein Drittel der sonst üblichen 2er Einheiten entstehen, und nur ein Teil der in den Fettsäuren steckenden Energie vom Organismus genutzt werden. Im Bedarfsfall können aus der geringen Anzahl von 2er-Gliedern deshalb auch nur wenig Ketonkörper gebildet werden. […]
Diese Darstellung ist aufgrund ihrer für die Broschüre notwendigen Vereinfachung jedoch unvollständig. In metabolischen Verarbeitungspfaden, die aus mehreren in Reihe arbeitenden Enzymen bestehen, überlagern sich die äusseren Funktionsbereiche der Enzyme mehr oder weniger stark. So ist die Funktion des MCAD-Enzyms nicht auf Fettsäuren der Längen 12, 10 und 8 beschränkt (entsprechend SCAD auf 6, 4 und 2). Das aus dem “normalen” Wildtyp-Allel gebildete MCAD-Enzym wirkt über den gesamten Kettenlängenbereich von 4 bis 14 Kohlenstoffeinheiten. Die größte Aktivität hat das Enzym verständlicherweise für die 8er Ketten, aber auch an den 4er Ketten, ebenso wie an den 10ern und 12ern, wirkt es noch mit ca 50% seiner maximalen Aktivität, und an den 14ern noch mit etwa 25%. Hier fällt seine Wirkung jedoch nur noch wenig ins Gewicht, da dies schon der Bereich der großen Aktivität von VLCAD ist. In gleicher Weise erstrecken sich die messbaren Aktivitäten des VLCAD-Enzyms und besonders des LCAD-Enzyms auch noch mit einem abnehmenden Anteil in den ansonsten vom MCAD-Enzym dominierten Bereich hinein. Die Grenzen sind nicht so hart, wie die oben zitierte Darstellung den Anschein erweckt.
Dass nach dem Wirken von VLCAD (und dem Wirken des “Mitochondrialen Trifunktionellen Proteins” MTP, welches aus 2,3-Long-Chain-Enoyl-CoA Hydratase, LCHAD und LKAD besteht − für diejenigen, die es genau wissen wollen) noch was geht, ist auch für Laien relativ leicht nachvollziehbar. Der Leitwert bei der Feststellung des MCAD-Mangels ist schließlich die Menge an C8 (Octanoylcarnitin), also der übriggebliebenen Ketten mit noch 8 Kohlenstoffeinheiten. In der Milupa-Broschüre wurde jedoch ausgesagt, dass die Fettverwertung bei C12 stoppt. Das kann so aber nicht stimmen, denn sonst müsste der Leitwert zur Feststellung des MCAD-Mangels nicht C8, sondern C12 sein. C12 ist aber normalerweise fast gar nicht nachweisbar und auch C10 ist vergleichsweise gering erhöht gegenüber einem für den MCAD-Mangel typischen sehr hohen C8-Anteil. Es werden also ausgehend vom C12 durch die Überlapppung der Enzym-Funktionsbereiche − vor allem des LCAD-Enzyms − auch noch eine 2er-Einheit zum C10 und noch eine weitere 2er-Einheit bis zum schließlich in großer Konzentration übrig bleibenden C8 abgespalten.
Es entstehen somit im “Normalfall” fünf 2er-Einheiten und vier bleiben ungenutzt in Form der 8er C-Kette übrig. Je nach Restaktivität des MCAD-Enzyms kippen auch noch einige Ketten über die 8er-Hürde und werden dann vom SCAD-Enzym weiter abgebaut. Soweit das laienhafte Verständnis.
Dieser Einschub soll aber nur zum Verstehen beitragen, dass auch Kinder mit MCAD normalerweise etwas mehr als nur die Hälfte der Fettsäurenkette verwerten können und die Menge der dabei gebildeten Ketonkörper unter optimalen Bedingungen auch entsprechend höher ist. Für die weiteren Betrachtungen gehe ich aber zur Vereinfachung weiterhin davon aus, dass nur genau die Hälfte jeder einzelnen Fettsäurenkette genutzt werden kann.
Unabhängig von der Milupa-Broschüre existieren eine Menge weiterer, sogar öffentlich zu findender wissenschaftlicher Quellen (med. Veröffentlichungen, Dissertationen, usw.), welche die Fähigkeit von MCAD-Betroffenen zur Bildung von Ketonen unter normalen Umständen belegen.
Die Ketonkörper stammen aus der verwerteten ersten Hälfte der Fettsäurenketten, bevor der Prozess abbricht. Kinder ohne MCAD können die gesamte Fettsäure in Ketonkörper aufspalten, erzeugen also aus jedem einzelnen Fettsäurenstrang doppelt so viele Ketonkörper.
Eine Interpretationsmöglichkeit wäre, dass der Prozess der Fettsäurenoxidation auch bei Kindern mit K329E homozygot im Normalfall selbst beim Fasten kaum nennenswert eingeschränkt ist und sowohl der MCAD-Prozess, als auch die darauf folgenden Verarbeitungsschritte weitestgehend normal ablaufen. Dieser Annahme widerspricht aber die bei dieser ACADM-Mutation durchweg festzustellende deutliche Mengen- und Aktivitätsminderung des MCAD-Enzyms.
Da die Studie aber trotzdem ergab, dass auch die Kinder mit MCAD nach dieser Fastenzeit eine annähernd normale Menge Ketonkörper gebildet haben, lässt dies darauf schliessen, dass ihr Körper einfach dem Bedarf entsprechend eine größere Menge an Fettsäuren und somit Körperfett abgebaut hat. Auch wenn das MCAD-Enzym nicht genug leistet, bzw. nicht in ausreichender Menge zur Verfügung steht, kann ja trotzdem der vorhergehende VLCAD-Prozess entsprechend verstärkt ablaufen. In der Studie vermutet man, dass erst eine Form metabolischen Stresses diese Fähigkeit zur ausreichenden Ketonkörperbildung aufhebt, was dann zu einer Entgleisung führen kann.
Als weiteres Indiz für die bedarfsangepasste Fettverwertung seien die auch bei normaler Gesundheit der Kinder deutlich zu hohen Werte im Acylcarnitinprofil (speziell bei K329E homozygot) angeführt, die auch ohne Vorliegen einer katabolen Stoffwechsellage festgestellt werden können.
Diese Überlegungen stellen die in den Stoffwechselzentren oft gehörte Aussage, dass Kinder mit MCAD-Mangel nicht oder nur schwer abnehmen könnten, bzw. dies nicht einmal langfristig versuchen dürften, deutlich in Frage! Im Interesse aller vom MCAD-Mangel betroffenen Personen bitte ich Sie deshalb, sich diesbezüglich weitere Gedanken zu machen.
Aussage: die präventive tägliche Carnitingabe ist unbedenklich, da es sich um eine körpereigene Substanz handelt
Dies ist zugegebenermaßen eine Aussage, die man längst nicht in jeder Stoffwechselambulanz zu hören bekommt, denn viele Ärzte verordnen inzwischen grundsätzlich kein zusätzliches Carnitin mehr, oder empfehlen die Gabe einer gewissen Dosis nur noch im Krankheitsfall, oder wenn der seltene Fall eintritt, dass die regelmäßigen Untersuchungen doch einmal einen deutlichen Carntinmangel aufgezeigt haben.
An dieser Stelle soll es aber auch nicht um die Frage nach dem innerhalb der Fachwelt immer noch in Frage gestellten prinzipiellen Nutzen des Carnitins in Bezug auf den MCAD-Mangel gehen, sondern darum, ob die von manchen Ärzten vorsorglich verordnete tägliche Gabe einer pauschalen Dosis Carnitin zu schädlichen Auswirkungen im Körper des Kindes führen kann.
Viele Eltern, die ihrem Kind täglich Carnitin (in Form von BioCarn oder der L-Carn Trinklösung) geben, bemerken den bereits nach wenigen Tagen einsetzenden fischigen Geruch, der sich im Kot, Urin, im Schweiss und in den Körperausdünstungen des Kindes zeigt. Werden die Eltern von ihrem Stoffwechselarzt im Voraus auf diesen im Zuge der Carnitingabe auftretenden fischigen Geruch vorbereitet, wird dies meist als etwas unangenehme aber harmlose Nebenwirkung beschrieben.
Beim Lesen der Packungsbeilege der L-Carn Trinklösung von sigma-tau fällt aber der folgende Abschnitt auf, der die Entstehung des fischigen Geruchs erklärt (der Beipackzettel von BioCarn geht auf diesen Punkt nicht ein!):
Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung und Warnhinweise
[..] Wird Levocarnitin über längere Zeit in hoher Dosierung eingenommen, kann [..] dazu führen, dass die durch die Darmflora gebildeten, in größerer Anreicherung giftigen Ausscheidungsprodukte Trimethylamin (TMA) bzw. Trimethylamin-N-oxid (TMAO) im Blut angereichert anstatt mit dem Urin ausgeschieden zu werden. [..] Die ungenügende Entfernung von TMA aus dem Blut kann ferner zur Entwicklung des sog. Fischgeruchsyndroms führen. Dabei entsteht ein fischiger Geruch in Atem, Urin und Schweiß.
Die in diesem Abschnitt aufgeführten Warnhinweise richten sich zwar in erster Linie an Patienten mit stark eingeschränkter Nierenfunktion, jedoch ist der fischige Geruch auch bei vielen und hinsichtlich der Nierenfunktion völlig gesunden Kindern im Zuge der vorsorglichen täglichen Carnitingabe zu beobachten.
Die Ausführungen dieser Packungsbeilage legen in entgegengesetzter Richtung nun folgende Schlussfolgerungen nahe:
Das Auftreten des fischigen Geruchs ist die unmittelbare Folge der ungenügenden Entfernung von TMA aus dem Blut, in welchem es sich gemeinsam mit TMAO infolge einer über längere Zeit andauernden zu hohen Dosierung anreichert, statt mit dem Urin ausgeschieden zu werden. Wie oben beschrieben, handelt es sich bei TMA und TMAO um Ausscheidungsprodukte, die in größerer Anreicherung giftig wirken − was bei einem Kind niemals als harmlose Nebenwirkung angesehen werden kann. Das Auftreten des Fischgeruchs ist somit als Warnhinweis des kindlichen Körpers zu verstehen, dass genau das gerade passiert. Dies wiederum legt den Schluss nahe, dass die täglich gegebene Dosis Carnitin (egal ob als Sirup oder als Trinklösung) zu hoch gewählt, wenn nicht gar völlig überflüssig ist, da die im Körper ohnehin vorhandene Carnitinmenge schon völlig auszureichen scheint.
Wann liegt aber eine zu hohe Dosierung vor? Hierzu muss man berücksichtigen, dass bei oraler Aufnahme von L-Carnitin grundsätzlich nur etwa 10% bis maximal 20% der enthaltenen Dosis vom Körper aufgenommen und in den Carnitin-Pool eingelagert werden. Die restlichen 80-90% wandern direkt in den Darm und werden dort zu dem nach Fisch riechenden TMA aufgespalten. Dadurch entsteht der fischige Kot. Ein Teil dieses TMA wird über die Darmschleimhaut in den Blutkreislauf aufgenommen, wodurch sich die den Geruch auslösenden Stoffe auch in den restlichen Körper verteilen. Dieser Effekt tritt unabhängig von der verabreichten Dosis auf, jedoch ist nachvollziehbar, dass bei mehreren über den Tag verteilten kleineren Carnitinportionen die Menge des jeweils daraus gebildeten TMA entsprechend kleiner ist, und zu geringerer Geruchsbildung führt.
Ansonsten hat der Wirkstoff Levocarnitin allen bisherigen Erkenntnissen zufolge selbst anscheinend keine toxische Wirkung, (darauf wird im Beipackzettel von BioCarn Wert gelegt!) scheint aber bei dauerhafter Anwendung gewisse Vorgänge im Körper etwas aus dem Tritt zu bringen, so dass sich dadurch toxisch wirkende Stoffe bilden können, die normalerweise nicht entstehen würden.
Die von manchen Ärzten sinngemäß gemachte Aussage
ist daher als sehr fraglich zu bewerten. Für erwachsene Patienten scheint dies durchaus zu gelten, so dass bei ihnen die ungenügende Entfernung des TMA aus dem Blut nur bei einer deutlich zu hohen Carnitingabe in Verbindung mit dem Vorliegen einer starken Nierenfunktionsstörung auftreten kann. Bei Säuglingen und Kleinkindern scheint dagegen schon eine deutlich geringere tägliche Carnitinmenge in Kombination mit möglicherweise noch nicht genügend trainierten Nieren auszureichen, dass sich das TMA in erhöhter und möglicherweise schon giftig wirkender Konzentration im Blut anreichert und somit zum fischigen Geruch führt.
Zumindest bei den Kindern, die diesen fischigen Geruch ausbilden, sollte dann vielleicht mal über die deutliche Reduzierung oder (vorübergehend?) völlige Einstellung der täglichen Carnitingabe nachgedacht werden.
Im Übrigen ist das Auftreten des unangenehmen Fischgeruchs längst nicht so selten, wie es die Beipackzettel der Carnitinpräparate glauben machen wollen. Fast alle Eltern, die ihren vom MCAD-Mangel betroffenen Kindern bisher gemäß ärztlicher Empfehlung Carnitin in pauschaler Dosierung verabreicht haben, konnten diesen schon nach sehr kurzer Zeit auftretenden Fischgeruch an ihren Kindern deutlich wahrnehmen. Für ein Kleinkind mag das noch zu ertragen sein, spätestens in Kindergarten oder Schule wird der aus jeder Pore ausgeströmte Geruch nach gammeligem Fisch für die Kinder zu einer enormen Belastung. Die dann zu ertragenden Hänseleien durch die Mitschüler sind für die Kinder viel belastender, als dieser ominöse MCAD-Mangel, von dem sie im normalen Leben überhaupt nichts bemerken.
Daher gilt es unter allen Umständen zu vermeiden, dass die Kinder durch die Verordnung einer täglichen, pauschalen Carnitin-Menge und den dadurch auftretenden Fischgeruch ihre Gesellschaftsfähigkeit einbüßen!
Kommt es zum Fischgeruch, ist dies ein deutliches Zeichen dafür, dass die eingenommene Carnitinmenge momentan zu groß bemessen ist, denn ein nicht unbeträchtlicher Teil des geschluckten Carnitins schafft es, wie oben beschrieben, überhaupt nicht ins Blut, sondern wird im Darm in seine Metabolite aufgespalten. Daher sollte die Dosis entweder deutlich verringert, oder wenigstens auf mehrere kleinere Portionen pro Tag aufgeteilt werden.